Vorsicht – Sie schreibt!

Im Prozess der Anerkennung ihrer Tätigkeit als Autorinnen werden Frauen manchmal-oft-immer indirekt-direkt gefragt, warum sie schreiben. Ob Männer sich dazu genauso oft auslassen müssen, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht haben sie offensichtlichere Gründe. Vielleicht nimmt man selbstverständlich das Ergebnis ihres Schreibens als Anlass ihrer Aktivität an.

Aber eine Frau, warum schreibt sie? Wer ist sie? Wen oder was kann sie (dadurch) erreichen? Will sie etwa ein Mann sein und projiziert diesen Wunsch auf ihre Figuren, um auf diese Weise das fehlende Männliche in sich zu kompensieren? Manchmal stelle ich mir überrascht dieselbe Frage. Und bin damit nicht allein in der Welt der Schreibenden.

Neulich bekam ich ein Buch geschenkt über Schriftstellerinnen und ihr Schreiben.
Eine Autorin in dem Buch verrät, sie konnte ihre Protagonistin nicht leiden wegen ihrer „weiblichen Probleme“, sie „mochte sie nicht, weil sie schwach und abhängig war und sich las wie ein Opfer“.

Mit der weiblichen Hauptfigur meines Psychothrillers erging es mir ähnlich. Mein Roman ist ein Hybrid aus Täter- und Opferperspektiven. Beide Figuren, männlicher Täter und weibliches Opfer, sind Schöpfungen meines Geistes, plus natürlich das Begleitpersonal. Es sollte eine ausgewogene Sache werden. Nach ungefähr der Hälfte des Romans geriet ich jedoch ins Schleudern. Das (weibliche) Opfer kam in der Geschichte zu schlecht weg, während der (männliche) Täter mich mehr und mehr reizte.

Ich war drauf und dran, die weibliche Hauptfigur sterben zu lassen, weil sie mir nicht stark genug erschien, zu ergeben in ihr Schicksal. Probleser*innen meines unfertigen Stücks waren anderer Meinung. Sie hegten Sympathien für die Hauptfigur und bangten um ihr Überleben (übrigens nur die weiblichen Leser, die männlichen sahen eine interessante oder schlicht natürliche Wendung im Ableben der Figur). Um sie zu retten, gab ich ihr eine besondere Art, sich mitzuteilen und gleichzeitig für sich zu bleiben. Erst danach war ich einverstanden, mit ihr weiter zu arbeiten.

Seltsamerweise habe ich mich im gleichen Maße, wie sich meine Figur vor ihrer Umwelt verschloss, meiner Umwelt gegenüber geöffnet. Als hätte ich meine Person gespalten in eine männliche Schattierung, die ich der Hauptfigur gab und eine weibliche, die ich für mich behielt und ausbaute. Ich wurde weiblicher, je männlicher ich schrieb.

Nun, wo der letzte Punkt hinter das letzte Wort gesetzt ist, gehören sämtliche Figurenteile wieder mir. Ich frage mich, ob das in Bezug auf den männlichen Anteil gut oder schlecht ist, denn ich bin gerne Frau, und wo oder wie gut ich die, fast von selbst in die Geschichte fließende, Boshaftigkeit des Täters eingesperrt habe. …!