experimentelles Schreiben – Schreibexperiment 2

Der große Blubb
Fahrud schenkte sich die zweite Tasse Kaffee ein. Schwarz und süß, so gehörte sich das. Bereits am Frühstück die zweite Tasse Kaffee gehörte sich jedoch nicht, jedenfalls nach Ansicht von Fahruds Hausarzt. Pah, was der schon palaverte! 73 Jahre war Fahrud alt geworden ohne seine Top Form einzubüßen. Er besaß mindestens einen Pass, der ihm das rüstige Alter von 65 bescheinigte, und wenn er ohne Ausweis, komplett inkognito unterwegs war, gab er sich sogar als 60jährig aus. Das war nie ein Problem. Mit Fechten und Kegeln und noch so einigen anderen nützlichen Sportarten hatte er den körperlichen Verfall gut aufgehalten, auch seine Ehen hatten ihn nicht ruiniert. Fahrud liebte seine Frauen und daneben ein bisschen sich selbst. Ein bisschen war ihm das bewusst, denn er betrachtete sich nicht nur äußerlich vor jedem Spiegel, sondern auch ausgiebig von innen, wann immer sich Gelegenheit dazu bot. Das war von Berufs wegen bei ihm öfter der Fall, als bei anderen Berufstätigen, aber zusätzlich stellte er sich die körperlichen Vorgänge und Abläufe oft bildhaft vor, wo er sie nicht sehen konnte.
Wie jetzt zum Beispiel, wenn die schwarzbraune Flüssigkeit am Schleim der Speiseröhre hinab zur Pforte des Mageneingangs spülte und dabei alle unzerkauten Reste des Rühreis -so etwas brauchte man ja nur runterzuschlucken- und des Pfannkuchens mit Blaubeeren als nicht näher bestimmbaren dunkelfarblosen Brei dem nächsten Schritt der Verdauung zuführte. Blubb, machte es wahrscheinlich, wenn der breiige Klumpen in den Magensäuresee platschte. Möglicherweise schwammen noch Überbleibsel des leckeren Grillgelages vom Vortag dort herum. Putenfleisch gegrillt und gebraten, Tatar aus Rind und Schwein, die offizielle Ignoranz, die er gegenüber den muslimischen Gewohnheiten an den Tag legen musste, um seine Legende nicht zu gefährden, war keine schwere Prüfung für ihn. Nach der westlichen Art zu leben, bedeutete, die Hotel-Speisekarten auskosten zu können und bescherte seinen Gedärmen reichlich wichtige Arbeit. Fahrud spürte die Gaseblase, die sich aus der schaumigen Oberfläche löste und den Rückweg durch die Speiseröhre antrat. Er rülpste zufrieden, strich sich über den straffen Bauch und griff nach der Morgenzeitung. Parallel startete er die Headline Suche im Internet. Ja, die Russen, die Amerikaner, die Chinesen, alle waren sie auf den ersten Seiten vertreten, aber nur mit Altbekanntem.
In Social Media, da standen die wirklich neuen Dinge, die, auf die man aufpassen musste, weil die Ahnungslosen oft die größten Geheimnisse ausplauderten. Fahrud bekam fast Stielaugen und beugte sich dicht über die kleinstgewählte Schrift im BLOG dieser unbedeutenden Möchte-gern-Autorin. Die wahre Wahrheit hieß der Artikel und befasste sich mit der Möglichkeit eines Giftanschlags auf Systemkritiker jedweder Nation in einem Fünf-Sterne-Hotel, angeblich als These für ein neues Romanprojekt, zu dem die Autorin um Recherchehilfen bat. Das würde wohl mindestens eine Telefonkonferenz auf den Plan rufen. Fahrud kratzte sich das Brusthaar zwischen den kuscheligen Aufschlägen des Bademantels und schlurfte ins Bad. Ihn zu vergiften könnte einfach sein. Er starrte auf die Galerie von Tabletten über der Waschtischablage, die ihm sein Arzt verordnet hatte. Nicht jede seiner Frauen kannte die ärztliche Anweisung, geschweigedenn den Arzt. Keine seiner Frauen brauchte überhaupt irgendeine Tablette, die jüngste und seine Geliebte nahmen nicht mal die Pille! Besonders genau prüfte Fahrud heute die Unversehrtheit der Blister und Formen und Farben der Medikamente, er wusste wie Bluthochdruckblocker, Cholesterinsenker und Blutverdünner auszusehen hatten. Mit einem Schluck Wasser schickte er die dringlichen Argumente des Doktors auf die Jagd nach den Verrätern der Jugend. Dennoch hatte Fahrud noch nie eine der besonders blauen Pillen nötig gehabt, schon gar nicht morgens.
Er öffnete den Bademantel und stellte sich vor den Spiegel. „Na“, begrüßte er seinen Lieblingsgesprächspartner. „Bereit für die zweite Runde?“ Mit der Hand half er der Aufrichtung nach, drückte die Bälle in Form. Das war nicht geschummelt, an anderen Tagen war mehr notwendig. Manchmal fragte er dann nach der Bereitschaft für einen Kampf. Das letzte Mal war sein Kamerad im Ehesex so heiß geworden, dass er sich wie ausgelagertes Fieber angefühlt hatte. Die Ladehemmung war nicht verwunderlich gewesen. Über die inneren Vorgänge hatte Fahrud gar nicht nachdenken mögen. Seit jedoch seine ersten beiden Frauen sich aus der Abteilung abgemeldet hatten, kam die Kampfbereitschaft in seinem Wortschatz nicht mehr so oft vor.
Seiner Bettgesellin hatte der Frühstücksschlaf gutgetan. Pralle, erdbeerrosige Wangen, pralle, himbeerrosige Brustwarzen und pralle handschmeichelnde Brüste verjüngten Fahruds Befinden in Sekunden. Von 73 Jahren gefühlt weit entfernt, kein warnender Spiegel mehr in Sicht, stürzte er sich in die schönste Nebensache der Agententätigkeit, vergrub sich in ihre Haare, versenkte sich zwischen die Schenkel, vertiefte sich in Betrachtungen seiner inneren Männlichkeit. Ihm war klar, dass das Blut in seine Mitte strömte, dort pumpte es bestimmungsgemäß Stabilität. Er spürte das Ziehen in den Leisten, ein Zeichen für den Sog, wenn das Gebot aufgerufen wurde. Heute verstärkte die aktive Peristaltik die Empfindungen im Leib über die Körpermitte hinaus. Das Kribbeln in den Hoden setzte ein, breitete sich ungewohnt weit aus. Fahrud sah die elektrischen Impulse der Erregung als Blitze vor sich, jeder Lichtpunkt hinter den geschlossenen Lidern steigerte die Erwartung. In seiner Vorstellung setzte der silbrige Strom aus den Seiten sich in Gang, nahm den Weg durch den Tunnel, angefeuert von glückverheißenden Muskelzuckungen bildete sich an der Spitze bereits eine Blase, die im nächsten, kleinsten spitzen Exstaseschrei seiner Quasinichte zerplatzen würde. Der Schrei kam, spitz und laut. Blubb, machte es, doch der Silberstreif blieb aus. Mit offenem Mund schnappte Fahrud nach Luft und staunte. Er fühlte den Blubb noch immer sehr deutlich, selbst seine Brust hatte ihn gehört, er war so laut gewesen, dass das Echo in seinem Kopf das Bild einer Druckwelle auslöste, bei der die zum Herzen führende Ader verstopfte und riss. Ganz kurz hatte Fahrud Gelegenheit, sich das blutige Desaster in seinem Innern vorzustellen, bevor sein Gehirn entschied, dass diese Vorgänge besser geheim gehalten blieben.