experimentelles Schreiben – Schreibexperiment 5

Experimente soll man nicht erklären. Nur so viel: Die gestrichenen Passagen sind absichtlich sichtbar.

Ich will Ihren Mann
Steigen Sie in die U-Bahn, forderte die Therapeutin von mir. Überwinden Sie sich! Vergessen Sie die befürchtete Erfahrung, es ist keine vorausgehende Ahnung, nur vorweggenommene Furcht, sagt sie, nehmen Sie Platz wie ein neugieriges Kind, wie ET, der vorher niemals U-Bahn gefahren ist, seien Sie ein Außerirdischer, der zum ersten Mal in das tunnelhafte Weltall im Innern der Erde taucht und staunt.
Drew Barrymore zieht mich ins Zugabteil und lässt mich los. Ich setze mich und sehe sie nicht mehr. Meine Augen sind geschlossen, weil, wenn sie offen wären, könnte mir bewusst sein, dass ich in der U-Bahn in meiner Erinnerung gefangen bin. Wie sehr ich mich heute für meinen Wunsch schäme. Wie selbstsüchtig ich war und gleichzeitig wunderbar selbstsicher. Der Gedanke, am Ende wäre mein Platz in deinen Armen, ließ mich auf jedem Grad wandern, als wären es blühende Wiesen.
Mein Kopf lehnt wieder an einer Scheibe, einem Spiegel für das Wageninnere. Doch ich sehe etwas Vergangenes. Ich beobachte sie, sie schaut überall hin, vor allem über mich hinweg, dann dreht sie sich um zu dir, gerade als du mich anlächelst. Mutig warst du, mir zuzuflüstern: Trau dich! Und erschrocken, als ich mich traute und dich mitriss, mitten hinein in das Liebes- Abenteuer unseres Lebens, von dem keiner wissen konnte, wie es endet. An dem Tag schärfte ein Handwerker vor dem Regent Hotel sein Messer am Granit der Bordsteinkante, dass die Funken nur so sprühten. Ritsch-ratsch, ritsch-ratsch. Ich habe mich heute hinuntergebeugt und nachgesehen, der Stein trägt keine Zeichen der Abnutzung.
Ich habe große Lust, mich zu übergeben, in ein ferngesteuertes Schicksal, in fremde Hände, solange es nicht deine oder ihre sind, dem Sodbrennen nachzugeben wie der Reiher vor seinen Jungen unten am Fluss auf dieser Insel, die Wasserfontänen sprudelten in Reihe im Kaskadenbrunnen, da sah ich euch zum ersten Mal zusammen. Euch beide, seit Ewigkeiten ein Paar, ihr seid Granit, eine Kirche ist auf eurem Fels gebaut. Die Wasserfontänen tanzten im Sonnenlicht wie kleine Gespensterkinder, die mit ihren Laken spielen, kleine weiße, heiße Kerzenflammen, lauter sprudelnde Schwänze, vier Stück in drei Wasserbecken, vier Mal dein Schwanz innerhalb von drei Stunden, mir ist schlecht und mein Bauch tut weh. Und überhaupt ist gemeinsam Essen viel gesünder als gemeinsamer Sex. Man wird nicht notwendig dick dabei.
Die Frau fällt mir ein, die neben dem einfahrenden Zug herlief, sie stolperte und schlug der Länge nach auf die Bahnsteigmarkierung am Rand, rollte ein bisschen, nur ein bisschen und dann kam der Zug mit der Tür genau vor mir zum Stehen. Man half ihr auf, stellte sie auf die Füße, sie nickte dankbar und atemlos und ich fand, sie wirkte verstört. Fragte sie sich, warum sie gelaufen war? Gab es nicht mehrere Türen am Zug, musste es ausgerechnet diese Tür sein? Sie war älter als ich, etwa im Alter deiner Frau. Ich beeilte mich, in einen anderen Waggon zu steigen, der Gestürzten wäre ein Sitzplatz sicher, mir, so ich ihr den Vortritt gelassen hätte, wäre diese Aufmerksamkeit sicher nicht zuteil geworden.
Ich habe, ich hatte viel Gelegenheit, darüber nachzudenken, was aus uns werden soll. Ich, die ich ständig an dich denke, sie, die an mich und dich denkt, du, der sich daran erinnern muss, dass ich an dich denke. Es macht einen Unterschied, der Haken auf einer to-do-Liste oder selbst die Wunschliste zu sein. Ich kann immer noch sagen, wann ich das eine oder das andere für dich war. Für sie war ich weder noch, sondern Versuchung und Fluch.
Ich habe, ich hatte, ich habe gehabt, was andere gern hätten. Ich bin zu ihr gegangen, war gegangen mit ihr an deiner Seite, dann bin ich gegängelt worden und wieder gegangen. Neulich habe ich einen Politiker sagen hören: „Ich glaube, es ist falsch zu glauben …“ Ab dann hörte ich nicht mehr zu, ich dachte über Glauben nach und Kirchen auf Granit, an Wasserfontänen und dunkle Laubengänge. Dort im Schatten saß ich, aus dem Schatten heraus sah ich euch im Licht wandeln, selbst unsichtbar, uninteressant, als wäre ich aus Stein. Eine Statue. Bin ich das? Vielleicht ja, vielleicht nein. Die Leute gehen an ihr vorbei, sie starren auf die nackte Unbewegtheit und sehen nicht, dass sie sogar im Schatten glänzt.
Ich habe, ich hatte, ich habe gehabt, ich hätte gern eine neue Chance, meine Wurzeln und festen Halt zu finden. Halt ist wichtig. Haltlos ist unstet, unsicher, sturzgefährdet, haltlos fällt auf, fällt hin. Manchmal neben einen Zug. Manchmal davor. Kann ich doch nicht ändern, wenn sie sich ihre Zeit lieber an ihrem Mann vertreibt als mit mir, mit Jemand anderem als ihrem Mann, damit ICH ihren Mann haben kann.
Ich habe, ich hatte, ich habe gehabt, ich hätte gern, ich hatte mal … den Plan einen Zug zu besteigen.