Abschied von Miles

„Dreh dich um. Ich habe eine Überraschung für dich.“
Meine linke Seite wird kalt, als Miles auf dem nassen Laken zum
Nachtschrank rutscht. Noch eine Überraschung außer dem Aufwachen neben Miles? Ich höre, wie er langsam die Schublade aufzieht. Mein Kopf ist schwer vom Wein, mein Körper müde vom Sex und die träge Jazzmelodie von Gershwins Sommertime in meinem Kopf lähmt meine Muskeln. An Miles‘ breiten Schultern kann ich sowieso nicht vorbeischauen. Außerdem haben wir mit dem Zuziehen der dicken Vorhänge nur wenig reale Welt und Licht in unserem Geheimnis zugelassen.
„Hast du Angst? Vertraust du mir nicht?“, fragt der Mann, der an diesem frühen Dienstagnachmittag seine und meine Ehe ignoriert, obwohl er sonntags mit Frau und Kindern in die Kirche geht. Ob er dort um Vergebung bittet? Vergeben und vergessen? Wenn ich doch bloß schnell vergessen könnte.

Miles weiß seine großen Hände geschickt einzusetzen und gleicht damit mühelos aus, wo Mutter Natur ihn vernachlässigt hat. Ich bin froh, nicht gelacht zu haben, als ich das kleine Anhängsel an dem großen Mann präsentiert bekam wie eine Fernbedienung zum Glück. Trotzdem möchte ich diese Fernbedienung nicht behalten. Dieses kleine Abenteuer war ein Riesenfehler. Wie konnte ich nur annehmen, damit meine Ehe neu zu beleben? Mir wird schlecht bei der Erkenntnis, wie weit entfernt ich von der Vorstellung in diesem Moment bin.
Mein Kopf sinkt ins Kissen zurück.
„Susanne fährt morgen zur Kur.“
„Ach“, sage ich und versuche, mich zu erinnern. Tatsächlich sah sie die letzten Male nicht sehr gesund aus, obwohl sie sich zu schminken weiß. Aber warum hat sie nichts gesagt, als ich mir einen Termin besorgt habe? „Warum hat sie denn nichts erzählt?“, frage ich.
Miles zieht einmal kurz die Schultern hoch und schüttelt mit dem Kopf. „Die Zusage kam sehr kurzfristig.
„Und wer führt den Kosmetiksalon während ihrer Abwesenheit?“
Er rollt mit den Augen und kämmt mit Ring- und Zeigefinger durch den
Schnurrbart. „Ist doch egal. Niemand, glaub ich.“
Ich habe Schwierigkeiten, zu erfassen, ob mir die plötzliche Kur von Miles Ehefrau oder mein Behandlungstermin in zwei Tagen wichtiger sein sollte, sage jetzt aber nichts mehr.
„Nun dreh dich schon um. Es soll eine Überraschung sein.“
„Okay.“ Ich rolle auf die rechte Seite und spüre, wie der Schweiß auf Rücken und Hintern zu verdunsten beginnt. Hinter mir raschelt und knistert es wie eine
Plastetüte. Instinktiv halte ich die Luft an. Miles‘Körper erdrückt mich in gewichtiger Hitze und beschwört eine Ahnung von Hündchenstellung herauf. Er legt seinen schweren Arm um mich, süßholziger Duft überfällt mich und lässt die Magensäure in meine Speiseröhre schießen. Spätestens jetzt bin ich sicher, dass wir kein ideales Paar für die Ewigkeit sind. Als er die Hand auf meine Schulter zurückzieht, glänzt ein Schlüssel vor mir auf dem Kissen.
„Oh“ Einen Moment überlege ich, wie ich reagieren soll. „Du hast mir einen
Schlüssel für das Appartement besorgt. Das ist … nett“, sage ich und denke stattdessen: Zu früh und völlig daneben.
„Nein, mein Schatz, sieh noch mal richtig hin.“ Sein pfeffriger Atem streift meinen Hals, dann beißt er mir in den Nacken wie ein Löwe seine Löwin beim Geschlechtsakt. Seine Hand zeichnet den First meiner linken Seite bis zur Hüfte nach. Irgendwie löst der Reiz ein Frösteln aus. Vielleicht kommt das plötzliche
Frieren aber auch daher, dass ich gerade eine Kopie meines eigenen Hausschlüssels geschenkt bekomme.
„Ist das nicht eine tolle Idee? Von meinem Haus aus kann ich sehen, wann dein Mann wegfährt und du brauchst nicht mal aus dem Bett zu steigen, um mir die Tür zu öffnen. Oder … ich könnte schon dort sein, wenn du nach Hause kommst. Und für Gernot fällt mir auch noch eine Lösung ein!“