Schreibreisen sind Inspiration, in der Gruppe immer mit Spaß. In unserer Schreibrunde bedeuten die fünf Tage jede Form von Schreibübung. Am meisten Text entsteht sicher in den individuellen Schreibzeiten allein. Die buntesten Texte mit der besten Anregung werden in den Workshops geboren, in denen spontan geschrieben wird, ohne Zeit zum Überlegen. Auf der Nachtwanderung im Wald und am Strand, beim Tagesausflug an einen geschichtsträchtigen Ort …
20 Sekunden Zeit für: Was seht ihr? Was hört ihr? Welche Stimmung fällt euch zuerst ein?
Manchmal mit Genre-Vorgaben (Kinderbuch, Theodore Fontane, Fantastische Wesen). Manchmal reicht es für eine halbe Seite, manchmal nur für wenige Zeilen. Das unzensierte Ergebnis lest ihr hier:
1. Nachtwanderung
1.1 Im Wald
Der Himmel hing hell über ihr. Eine Decke aus Federwolken, hinter der die Lichter der Nacht sich bereit machten. Das nahe Meer atmete eine kühle Brise in die offenen Fenster des Waldes. Sein Duft war so vertraut wie das Eau de Cologne Ihres Liebsten. Sie sah das tote Holz nicht, glitt lautlos über trockene Zweige …
1.1.1 Kinderbuch
Der Wald träumt einen großen Traum. Jedes Tier trägt sein Bild dazu bei.
Eichhörnchen umarmen die gesammelten Bucheckern.
Igel lehnen sich an die herangerollten Äpfel.
Über allem wacht der Uhu mit großen Augen …
1.1.2 Fontane Effi Briest
Das ist ein weites Feld. Nein, Vater. Hier ist kein Feld, keine Weite, wie Ihr Sie seht. Allein die Höhe ist unglaublich, mit der sich die Baumstämme gen Himmel strecken, der Freiheit der Vögel entgegen. Ach, könnt ich doch auch fliegen. Der Himmel ist weit. So weit entfernt. Nie scheinen wir ihn erreichen zu können. Seht, Vater, dieser Baum reicht mir seinen Ast wie ein Geliebter. Soll ich ihn annehmen? …
1.1.3 Fantastische Wesen
Das Wasser war geflohen, hatte ein ausgetrocknetes Totenbett des Waldes zurückgelassen. Hinter den Skeletten der Schwarzerlen kauerten Reste ehemaliger Brombeersträucher, immer noch wehrhaft mit Stacheln besetzt, aber der Farbenpracht der Blätter und Früchte beraubt. Staubiger Nebel zog düstere Straßen in die Verwüstung …
1.2 Am Meer
1.2.1 Piraten
Feuerholz ist gesichert und für das Leck im Schiff gibt der Wald bestimmt auch eine passende Kiefer her. Schwärmt aus, Männer, und kommt nicht ohne Holz zurück. Wer dabei die Schatzhöhle findet, bekommt …
1.2.2 Science-Fiction
Der Himmel drückte wie eine zu niedrige Decke auf uns. Eine unruhige Decke, voller leuchtender Flöhe. Der Blutsee leckte am Rand unserer Landescheibe.
1.2.3 Fantastische Wesen
Das rote Leuchten am Ende der glitzernden Oberfläche lenkte uns ab. Erst als es verschwunden war, bemerkten wir das Flüstern um uns. Ein anderes Flüstern, als das der Wellen. Tiefer und breiter. Es schien uns einzukreisen …
3. Ausflug zum Kraftwerkmuseum nach Peenemünde
3.1 Geräusche Was hört ihr?
Knisternde Neonröhren, tickende Wasserstandszähler, Zischen, Dampfen, Qualmen, Ruß, tropfendes Öl/Wasser, quietschendes Eisen, Elektroschaltkasten, Öldruckmesser
3.2 Schaut euch um. Welche Filmszene entsteht in eurem Kopf?
Kirkey klemmte seinen mageren Körper zwischen Stahlwand und Treppe, hielt die Luft an und hoffte, sein Schweiß würde die Hunde nicht auf seine Spur führen. Sein Herz wummerte lauter gegen das Treppengeländer als die Stahlhämmer, die die Winkeleisen dafür verbogen hatten. Durch die Gitter unter sich konnte Kirkey die Jäger sehen. Ihr Flüstern prallte die Schachtwände nach oben, sprang an ihm vorbei …
3.3 Ruß 30 min Schreibzeit nach Besichtigung des Fabrikgeländes, freies Schreiben
„Du spinnst doch. Hier spukt’s nicht.“ Hank drehte sich wieder nach vorn, hob den Fuß kniehoch über den rostigen Ablauf und stieg selbstsicher in die Halle.
„Nicht, nicht, nicht“, überfiel das Echo mich von links und rechts, von oben. Sogar der Boden schien zu flüstern. Dabei hätte der Staub, der in zentimeterdicker Schicht den Boden bedeckte, den Spott dämpfen sollen, statt ihn zu verstärken.
Meine Mutter bekäme bestimmt einen Tobsuchtsanfall: „Die neuen Schuhe, Junge! Musst du das neue Zeug immer gleich einsauen? Für den Bolzplatz hätten die alten Treter doch auch gereicht.“
Ja, laut meiner offiziellen Version war ich jetzt auf dem Bolzplatz. Nie hätte Mutter mich zur alten Fabrikhalle losgelassen. Jeder weiß, dass es hier spukt. Dunkle Wände, Fenster hoch oben unter der Decke und so klein, dass das Nachmittagslicht eine Orientierung gerade so ermöglicht.
„Ha!“, sprang Hank mich von der Seite an.
„Ha, ha, ha“, lachte es schaurig von den Treppen, aus den oberen Stockwerken, fiel von den Rohren herunter, die unter der Decke um die Wände herumliefen.
„Ma…“, bremste ich mich gerade noch nach meiner Mutter zu rufen. Welcher Dreizehnjährige darf ungestraft nach seiner Mama rufen, wenn seine Mutprobe ansteht?
„Mann!“, fauchte ich wütend zurück. „Weißt du, wie du aussiehst?“
„Na klar“, lachte Hank. „Hab ich extra gemacht. Scheiße, selbst wenn ich ein Kilo Seife brauche, um mein Gesicht sauber zu kriegen – dein Gesichtsausdruck war es wert. Er wischte die schwarzen Handflächen an seinen Socken ab und blinzelte mich an. Ich sah nur Augen in einem runden Schatten vor noch dunklerem Schwarz.
Jetzt fiel mir auf, dass ich keine Schritte gehört hatte. Hank hatte sich Mühe gegeben, leise zu sein, klar. Aber meine Sohlen, neu und quietschig, waren verstummt. Dafür nahm ich jetzt ein fernes Rauschen wahr. Nein, kein Rauschen, ein feines Reiben. Was war das? Es zischte und wisperte, nahm in meiner Fantasie Hank-übergroße Form hinter ihm an.
‚Jetzt werde ich verrückt‘, dachte ich. Dann legte sich eine feinkörnige schwarze Hand auf Hanks Schulter …