Workshop mit Bettina Hampl vom 22.7.-24.7.2019
Tag 1 Montag
Daimler Contemporary Berlin, Sound on the 4th Floor
Im Haus des Weinhaus Huth, Alte Potsdamer Str. 5, Berlin, Potsdamer
Auftrag: Sucht euch ein Kunstwerk und schreibt dazu eine Geschichte.
(aus der Kladde übertragen, 1 Nische mit drei Bildern, 20-30 min Schreibzeit)
Das Weinhaus Huth ist eins von vielen Paradoxen in Berlin. Das älteste Haus am Platz mit ständig aktualisiertem Interieur. Im vierten Stock ist die Ausstellung installiert, durch die man im Rund wandert, wie durch den Kopf eines Betrunkenen. Naja, im Huth eines Weinhauses eben. Kann das wirklich der richtige Ort für einen Heiratsantrag sein?
Mike zieht seine Johanna in eine Nische mit abgedunkelten Fenstern.
„Komm setz dich auf die Fensterbank.“ Er hilft ihr hinauf. „Lehn dich ruhig ans Fenster, ruh dich aus.“
Johanna ist unwohl neben dem schwarzen Skelett links auf dem Bild. Von den roten Ringen auf der anderen Seite verschwimmt ihr die Sicht. Doch das Grün gegenüber mag sie, wie draußen die Grünfläche nach all dem Kriegsschutt, der vorher dalag.
Mike zeigt auf das Skelett. „Weißt du, was das ist?“, fragt er.
„Jemand, der aufgegeben hat?“, sagt Johanna.
„Das war ich, als ich glaubte, dich nie wieder zu finden.“ Er zeigt auf die roten Ringe. „Und das?“, fragt er.
„Ich weiß nicht.“
„Das ist unsere Unendlichkeit.“ Mike stützt sich am Fensterbrett ab und kniet sich vor die Füße seiner Johanna.
„Was machst du“, fragt sie. “Ist dir schlecht? Du machst mir Angst.“
„Sieh mich an Johanna.“
Sie schaut hinunter auf ihn. Seine Wangen sind rosig wie nie, seine Augen blitzen vor Entschlossenheit. Es scheint alles in Ordnung mit Mike.
„Johanna, hier an diesem Ort, wo Unendlichkeit gegen den Tod steht, frage ich dich: Willst du meine Frau werden?“ Zittern schleicht sich in seine Stimme.
„Aber das bin ich doch schon seit unserem Versprechen, Dummerchen“, sagt Johanna.
„Heute machen wir es richtig. Also, ja?“
Johanna zeigt ihre Zahnlücke beim Lachen. „Natürlich.“ Sie hält ihm ihre Hand hin.
Mike wischt sich vor Aufregung über den Mund. Dann schiebt er den schmalen Silberreif den Finger hinauf, Falte für Falte über den dicken Knöchel, bis der Ring festsitzt.
„Jetzt meine Liebe darfst du mir aufhelfen. Wir nehmen den Fahrstuhl in den Weinkeller zum Feiern.“
„Nein, ich möchte nach draußen zum Grün unter freiem Himmel. Keller erinnert mich an Bomben.“
„Wie du willst, Liebste. Ab jetzt, alles, wie du willst.“
Tag 2 Dienstag
Weg vom U-Bhf Naturkundemuseum zur Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße
Auftrag: Beschreibt, wie sich die Atmosphäre verändert.
(aus der Kladde übertragen, 20-30 min Schreibzeit)
Wohin willst du? Nach dort hinten musst du selber laufen. Hast nicht verstanden, weil der Lärm versteckt, wie du anders durch glasige Schatten gelangst, eingezäunt von Gelb und Grün.
Keine Angst, du wirst atmen können. Probier es. Schmeckt`s noch Grau, noch nicht Schwarz-Weiß? Menschengemachtes scharfkantiges Schwarz-Grau-Weiß, nur das Grün wächst von allein. Hier hol Luft, steig auf den breiten Teppich. Lass dich tragen durch die surreale Weite, in der innen wie außen aussieht. Vorbei an Amnesty International, das sich schützen muss mit Gittern.
Und plötzlich endet die bergige Stadt. Hier ist die Geschäftszeit an sandige Gezeiten angepasst. Der Staub ist gelber und größer und flacher. Das Feld des Friedens.
Im Mauerpark
Aufgabe: Schreibt einen biografischen Text zum Mauerpark (20 min Schreibzeit)
Wie frei sind wir wirklich?
Es riecht frisch, saftig, nach Leben. Auf diese lebendige Ebene sind wir gelangt, nach dem wir die durchlässige Stelle in der Mauer gefunden haben.
Freiheit.
Für die Füße zuerst.
Meine Zehen erkennen das nass-grüne Weich, auf dem wir durch die Sommer unserer Kindheit den Abenteuern nachjagten.
Je weiter wir uns auf das gleichförmig gezüchtete Grün hinauf trauen, desto leiser wird der Protest der Stadt, die nach uns greift, die uns nicht loslässt und an den Ohren zieht mit nicht endendem Kampflied.
Ist es schön hier in diesem anderen Landstrich? Der wieder an einer Mauer endet. Es gibt auch einen Zaun, niedriger und löchrig. Eine weitere Alternative? Dort sind die Bäume unordentlich hoch gewachsen, schauen über den Zaun und sogar frei und weit über die Mauer. Ist das Gras dort grüner? Grabsteine wachsen aus dem Boden.
Bleiben wir doch lieber auf dieser Seite. Helfe wir dem aufstrebenden Grün in der wütenden Stadt, für die Aufgeben nie eine Option ist. Müssen wir denn Mauern überwinden, um uns frei zu fühlen oder reicht es sie durchlässig zu machen?