Ich lebe in einer Mietwohnung in einem großen Mehrfamilienhaus. Vorderhaus, Seitenflügel und Hinterhaus. Es ist eine schöne Wohnung nach vorne raus. Mit optimaler Aufteilung für eine vierköpfige Familie, Fenstern in allen Räumen, außer in der Abstellkammer, die ja kein Fenster braucht, dafür beherbergt sie ein zweites WC mit Abluftsystem.
Die Kinder wuchsen in dieser Wohnung auf, wechselten in die Kita, in die Schule, ans Gymnasium, ins Studium. In all diesen Jahren wechselten auch etliche Bewohner des Hauses. Die, die mit uns eingezogen sind, zogen aus, später zogen die Nachmieter aus. Ich sah die Umzugswagen vor dem Wohnzimmerfenster auf der Straße, beobachtete die Möbelpacker vom Küchenfenster aus im Innenhof, hörte die Helfer im Treppenhaus und Wehmut überfiel mich. Wohin zogen diese Menschen? Manchmal Bekannte, andere hatte ich nie gesprochen. Wieso zogen sie weg? Hatten sie eine bessere Bleibe für sich gefunden? Hatten ihre Lebensumstände sich geändert? Meistens wusste ich es nicht und würde es nie erfahren. Jedes Mal verglich ich sie mit meinem Leben, bewertete meine Wohnung und stellte fest, wie toll sie ist.
Dennoch ergriff die Sehnsucht nach Erneuerung zuverlässig Besitz von mir. Aufbruchstimmung machte sich breit. Erst seitdem ich schreibe, mit dem Erschaffen anderer Welten und Realitäten, wurde es leichter zu ertragen, dass andere fortzogen, während ich blieb.
Ich mag meine Wohnung. Sehr. Aber die Abenteuer wohnen woanders.